Grooming im Internet
Unsere Tests zeigen, wie leicht aus scheinbar harmlosen Kontakten gefährliche Situationen entstehen.
Wie normaler Alltag zur gefährlichen Falle wird
Das Internet ist aus dem Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Eltern nicht mehr wegzudenken: Chats, soziale Netzwerke, Kleinanzeigen, Videoplattformen — das alles gehört zum Alltag.
Doch hinter scheinbar harmlosen Profilen und Angeboten lauert eine echte Gefahr: Erwachsene, die Kontakt zu Minderjährigen aufbauen wollen, mit dem Ziel, Vertrauen zu gewinnen — und schließlich sexuelle Inhalte zu erzeugen oder Missbrauch anzubahnen.
Diese manipulative Vorgehensweise nennt man Cybergrooming. Dabei wird versucht, über Gespräche, Geschenke, Zuwendung oder Schmeicheleien eine Beziehung aufzubauen — mit dem Ziel, die Grenzen zu überschreiten.
Warum Aufklärung wichtig ist:
Aktuelle Lage in Deutschland
Diese Zahlen zeigen: Cybergrooming ist kein Randphänomen, sondern Realität. Zielgruppen sind nicht nur Kinder mit vielen Stunden Onlinezeit, sondern auch „scheinbar harmlose“ Accounts, Kleinanzeigen oder Familienbilder – und zumeist sind die Täter anonym oder verschleiern ihre Identität.
Jedes vierte Kind betroffen
Laut einer Studie der Medienanstalt NRW hat bereits fast ein Viertel der befragten Kinder und Jugendlichen (im Alter von 8 bis 17 Jahren) Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht.
Jüngere besonders gefährdet
Besonders betroffen: Unter-14-Jährige — rund 16 % geben an, schon Kontaktversuche erlebt zu haben.
Cybergrooming ist strafbar
In Deutschland ist Cybergrooming eine Straftat (§ 176 StGB und verwandte Vorschriften).
Scham verhindert Aufklärung
Das Risiko ist hoch, aber oft wird nicht darüber gesprochen — viele Betroffene schweigen aus Scham.
Unsere Tests:
Realität im Kleinen — mit großer Wirkung
Test 1:
eBay Kleinanzeigen
Was wir gemacht haben:
- Ein Profil wurde angelegt, das eine junge Mutter mit Kind darstellt.
- Anzeigen geschaltet, z. B. „Suche Kinderkleidung“, „Suche Wohnung für alleinerziehende Mutter“ — ganz normale Alltagswünsche.
- Keine sexuellen Inhalte im Profil, kein Hinweis auf irgendetwas Ungewöhnliches.
Was wir erlebt haben:
- In ca. 10 Tagen Laufzeit der Anzeigen erhielten wir über 100 Kontaktanfragen.
- Von diesen waren 17 Anfragen eindeutig auf sexuelle Absichten gerichtet: Fragen nach intimen Szenen, sexuelle Angebote oder Anspielungen, Nacktbilder oder Angebote von Dienstleistungen sexualer Art.
- Teilweise wurde versucht, einen intensiveren Kontakt außerhalb der Plattform anzubahnen.
Lehre:
Test 2:
Snapchat
Was wir gemacht haben:
- Ein Account mit einem KI-Bild einer jungen Frau im Alter von geschätzten 15–25 Jahren („Marie18“) wurde erstellt.
- Keine aktive Suche nach Kontakten: wir haben nur Nachrichten angenommen, auf Anfragen reagiert, aber niemals selbst Nutzer angeschrieben.
- Keine sexuellen Inhalte gepostet, keine Aufforderungen, kein Hinweis auf etwas Besonderes — der Account wirkte harmlos und unscheinbar.
Was wir erlebt haben:
- Innerhalb von nur 72 Stunden gingen über 700 Kontaktanfragen ein.
- Bei über 100 Anfragen wurden ungefragt intime Fotos („Dickpics“) geschickt — ohne Aufforderung.
- Etwa 200 weitere Nachrichten versuchten, intime Gespräche zu initiieren, nach mehr Bildern oder intimen Details zu fragen.
- Lediglich rund 20 Nachrichten hatten eine nicht-sexualisierte, normale Kommunikation zum Ziel.
Lehre:
Test 3:
TikTok
Was wir gemacht haben:
- Ein Profil wurde erstellt, das eine „Familie“ zeigt (KI-generiert): Mutter oder Eltern mit zwei Kindern (z. B. Kleinkind und Schulkind).
- Drei kurze Videos gepostet, die Alltagsszenen darstellen — keine provokativen Inhalte, keine Einladung zu sexuellen Gesprächen.
- Kein direkter Aufruf an andere, Kontakt aufzunehmen — wir warteten, was passiert.
Was wir erlebt haben:
- Die Videos erreichten insgesamt etwa 4.000 Views — also keine besonders viralen Clips, aber sichtbar.
- Es kamen insgesamt rund 20 Direktnachrichten rein.
- Mehr als die Hälfte dieser Nachrichten waren sexualisiert: Nach Bildern, intimen Details oder Nacktbildern gefragt, teilweise direkte Bezugnahme auf die Kinder in der Familie.
- Einige der Nachrichten versuchten, außerhalb von TikTok weiter Kontakt aufzubauen (Messenger, Chats etc.).
Lehre:
Worauf wir aufmerksam machen wollen
1.
Grooming findet nicht nur auf expliziten Plattformen statt.
Nicht nur Chats und Dating-Seiten sind betroffen — auch Kleinanzeigen, Videoplattformen, soziale Netzwerke oder Apps mit der Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen.
2.
Hemmungen vieler Täter sind gering.
Oft beginnen Nachrichten harmlos, steigern sich aber schnell. Viele Täter senden ungefragt Nacktbilder oder fordern intime Inhalte ein, ohne dass das Opfer aktiv etwas provoziert hat.
3.
Anonymität, Fake-Accounts und KI-Fotos verschleiern das Risiko.
Täter können sich hinter falscher Identität verstecken. KI-Generierung erleichtert das Erstellen „gefährlich harmloser“ Profile.
4.
Einzelne Nachrichten reichen — oft sind es nicht Hunderte, sondern weniger, die gefährlich werden.
Wir haben keine Millionen Nachrichten gebraucht — in kurzer Zeit kamen genug unangemessene Anfragen.
5.
Melden ist wichtig — aber Aufklärung noch wichtiger.
Nicht alle Plattformen erkennen oder löschen alle Kontakte von sich aus. Häufig hilft nur Instruktion: Was tun bei verdächtigen Nachrichten, wie reagiert man? Wann soll man löschen, blockieren, melden?
Tipps für Eltern, Betroffene & Plattformnutzer
Grenzen setzen & deutlich machen
Kinder und Jugendliche sollten wissen, dass sie Bilder, Nachrichten oder Anfragen löschen oder blockieren dürfen, wenn sie sich unwohl fühlen.
Keine Schuldzuweisungen bei Betroffenen
Oft wissen junge Nutzer nicht, welche Gefahr besteht oder wie schnell Situationen eskalieren können. Statt strenger Verbote ist besser: Aufklärung, Gespräche, Unterstützung.
Dokumentieren & melden
Verdächtige Nachrichten niemals einfach ignorieren — Screenshots machen, Accounts melden, ggf. Anzeige bei Polizei oder Strafverfolgungsbehörden.
Bewusstsein schaffen
In der Schule, in der Familie, durch Medien — über Cybergrooming sollte gesprochen werden. Viele Kinder wünschen sich Aufklärung bereits in der Grundschule.
Plattform-Schutzfunktionen nutzen
Blockieren, Melden, Privatsphäre-Einstellungen aktivieren — nicht alles muss öffentlich sein.
Aufklärung über rechtliche Hintergründe
Cybergrooming ist strafbar — nicht harmlos.
Fazit
Unsere Tests zeigen deutlich: Es sind nicht nur Extremfälle oder „bekannte Netzwerke“, die gefährlich sind. Es genügt relativ kurze Zeit und wenige Aktivitäten, um von einschlägigen Nutzern kontaktiert zu werden – oft mit sexueller Absicht.
Wir wollen Menschen sensibilisieren: Für das, was schon wenige Nachrichten auslösen können; für die Bedeutung von Grenzen und Schutz im Netz; und für das Wissen, dass Grooming nicht nur ein Thema von Spezialseiten ist – sondern von Alltag, Social Media, Familienfotos und Kleinanzeigen.
Auf unserer Seite schutz-gegen-grooming.de soll dieser Artikel helfen, wachzurütteln, Verhalten zu ändern und Schutzmechanismen zu stärken – bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und Plattformbetreibern.
